Mittwoch, 5. August 2015

Tag 0: Lübeck und die blauen Handschuhe


Die Reise beginnt ja ungewöhnlich. Weil der Zehenbruch des Sohnes noch nicht so lange her ist, wird es mit dem Drähteziehen knapp. Die Uniklinikorthopäden lassen sich gerade so auf den heutigen Mittwoch ein, und wir beschließen, unsere Abfahrt nicht zu verschieben, sondern direkt von der Klinik mit dem Auto gen Norden aufzubrechen.
Soweit so gut, der Morgen ist strahlend, die Wartezeit kurz und die Stimmung selbst des Sohnes nahezu ausgelassen, auch wenn der Moment des Ziehens wohl sehr schmerzhaft war und der Zeh jetzt natürlich juckt und im Schuh drückt, das Laufen beschwerlich ist und überhaupt dies Ganze in Kombination mit der Pubertät eine besondere Ladung darstellt.

Dennoch: wir fahren auf der Autobahn, die Bäume fliegen vorbei, ich lasse los, realisiere beim Vorbeigleiten, dass nun endlich eine innere Ruhe kommen kann, da ich nicht mehr agieren muss, nur noch den Gegebenheiten des Reisens mich fügen …

Nur mein Hals tut weh. Mehr als an den letzten Tagen. Überhaupt bin ich erschöpft. War ja auch eine Art Wunderheilung vom Fieber des Wochenendes, und sehr schnell habe ich sehr vieles wieder angepackt – sonst säßen wir jetzt noch nicht im Auto.
Und dann mittags plötzlich, da ist mir wohl was ins Auge geflogen. Es drückt, ich reibe herum. Es drückt doller, ich reibe doller. Immer ärger, beides. Bis ich an der Raststätte mein Glück mit Augentropfen versuche, in der Hoffnung dass es lindert oder dass da was herauszuspülen ist. Nichts.
Ich sinniere über mich selbst, glaube an eingebildetes Augen- und Halsweh. Bemerke, dass ich – statt mich auf die langersehnte Reise zu freuen, und darüber, wie gut ich begleitet bin, wie sehr ich mich werde zurücklehnen können in den nächsten Wochen – dass ich stattdessen also mein Augenmerk festhänge an den beiden Unpässlichkeiten. An kleinen Dingen, die marginal sein könnten, wenn ich nur richtig schauen würde. --- Oder will mein Körper mir vielleicht gerade das Gegenteil zeigen - dass ich bitte nicht immer nur an ihm vorbeischaue und erwarte, dass er das Seine beiträgt zum allseitigen Funktionieren.

Jedenfalls: Die Wehs sind nicht eingebildet, beide nicht. Das Auge wird binnen Stunden verquollen, rot und verschleimt, und wir steuern in Lübeck als erstes die Augenklinik an, Notaufnahme. Ich fühle mich ein bisschen hypochondrisch, als wir da vorfahren, die aufnehmende Ärztin aber sagt nach kurzem Blick auf mein Auge: Nix anfassen, desinfizieren, Handschuhe an (blau sind die!), und isoliert hinsetzen bitte.
Ich bekomme draußen einen Stuhl und habe nun weitere Zeit zum Sinnieren. Wie sich dieses Gebot auf die Natur zu hören nun in die Tourplanung integrieren lassen wird. Wie sich Störendes und Unglattes in den Fluss einfügen können. Wie ich bei mir bleibe – dennoch, oder gerade dann. All das geht mir durch den Kopf, als ich mit meinen blauen Handschuhen im Park der Lübecker Uniklinik sitze.

Die Behandlung dann ist kurz und schmerzhaft. Eine Entzündung, vermutlich wirklich hochansteckend, da keinerlei Fremdkörper oder Hornhautschädigung sichtbar (die Suche danach, ui, die brauche ich nicht jeden Tag). Dennoch ist das Auge fast geschlossen vor Schwellung. Drei Stück Augentropfen bekomme ich, und den Rat, dass Radfahren in den nächsten Tagen wegen der Windbelastung sicher nicht die beste Idee ist … Nun, wir werden sehen. (Hätte ich doch meine Skibrille in eine der 18 Taschen gesteckt:))

Wir werden uns nun von Tag zu Tag hangeln mit unseren Entscheidungen. Der Sohn ist ja mit seinem Zeh auch alles andere als fit, humpelt so Meter für Meter vor sich hin. Morgen bleiben wir daher hier. Die Jugendherberge kann uns eine Nacht länger aufnehmen, und zu den Augentropfen habe ich eine Flasche Händedesinfektion gekauft, die ist jetzt hier stündliche Pflicht für alle. Gesichtskuscheln momentan verboten, wir tun also, was wir können.

Was wir nicht tun können: Den Rest entscheiden. Ob das Auge schnell abheilen wird. Und mein Hals gleich mit. Ob uns nicht danach wieder etwas anderes treffen wird. Ob das Wetter gut sein wird, oder nicht. Ob der Wind in unsere Richtung wehen wird, oder eben nicht. Ob der Reifen heute eine Panne will, oder erst morgen. All das – so dreht es sich in meinem Kopf, während wir abends durch die lange helle Lübecker Altstadt laufen – liegt nicht in unserer Hand.
Während es sich am Nachmittag noch wie Kapitulation und Resignation anfühlte, wird allmählich Annahme daraus. Der Vergleich mit dem Wetter tut gut. Hierbei habe ich beim Radfahren immer eine sehr gelassene Haltung: Es nehmen, wie es kommt.
Auch mit unseren Wehs mache ich im Laufe des Abends – nach einigem inneren Kampf - meinen Frieden. Meine Ferien heben dieses Mal ihren Finger ganz besonders deutlich: Du willst zu viel, Du kannst nicht alles selbst entscheiden, musst auch mal zulassen, was werden soll. Dich hineinfallen lassen in das, was als Dein Leben daherkommt. Nicht immer alle Zügel in der Hand halten wollen. Gilt in Schul- wie in Ferienzeiten. An dieser ersten Lektion, die mir meine Reise schenkt, kann ich nun lange üben …

4 Kommentare:

  1. So fies und gemein es auch ist, dass die Krankheiten immer dann kommen, wenn der Stress abfällt - ich glaube auch daran, dass sie uns zwingen, inne zu halten und zu pausieren, damit wir nicht von einem Aktionismus in den nächsten verfallen. Ich wünsche dir ganz fest, dass du gesund wirst. Und ansonsten ist Lübeck eine ganz zauberhafte Stadt, in der man durchaus ein paar Tage verbringen kann. Alles Liebe und Gute!

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  2. Vielleicht wollen Sie auch in den Ferien zu schnell zu viel.
    Und da haut der Körper die Bremse rein.
    Warum nicht erst mal ein, zwei Wochen daheim rumchillen?

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  3. Ja, warum nicht- was Herr H-Blues in seinem letzten Satz vorschlägt...
    Trotz alledem - gute Reise!

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  4. Wie geht das - daheim chillen, wo doch all die tausend unerledigten Dinge dort liegen? Kenne wohl keine (Haus)Frau, die das kann:) Nuja, zumal in meiner speziellen Familiensituation ist mir das schlicht nicht so möglich wie unterwegs, wo ich allein bin. Darum der Wunsch nach einem Dreiwochenurlaub. Und da ich Ende August in Berlin sein muss (und die Kinder vorher noch mit ihrem Vater nach Italien fahren wollen), war jetzt, eine Woche nach Ferienbeginn, der letzte Zeitpunkt loszufahren. Eigentlich hat sich das in den Vorjahren - nach Ausprobieren verschiedenster Varianten - als günstigster Zeitpunkt herausgestellt: eine Woche nach Ferienbeginn. Genug Zeit zum Ausruhen und Packen, aber noch nicht genug, um schon das neue Schuljahr anzugehen.
    Nun, es ist und bleibt schwierig, vor allem das bislang nicht Lösbare. Immerhin: nach 1,5 Jahren Warten fängt ja jetzt meine Teilzeit an. Hurra!
    Und ehrlich:.das Unterwegssein ist mir soooo sehr mentales Elexier, das ist schon jetzt unbezahlbar gut!
    Ich bin also am Gesunden, zuerst vom Lebensgefühl her. Der Hals wird nachziehen ...
    Vielen lieben Dank für Eure Besserungswünsche!

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